Hieronymus Bosch und seine Bildwelt im 16. und 17. Jahrhundert

Der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung „Hieronymus Bosch und seine Bildwelt im 16. und 17. Jahrhundert“ (noch bis zum 19. März 2017 in der Gemäldegalerie in Berlin; wir berichteten) ist genial. Der Leser erfährt von der Mühe, dem Maler Hieronymus Bosch Bilder zuzuweisen bzw. diese als Kopie zu erkennen. Zahlreiche Wissenschaftler mehrerer Epochen werden zitiert und analysiert, historische Vergleiche untersucht. So finde ich Zugang zu kleinen Geheimnissen. Wundere mich über bestimmte Rückschlüsse und halte doch alles für möglich. Und ich wandere von Bild zu Bild, von Original zu Kopie. Und lasse mich einfangen.

Die Texte sind aufschlussreich, erläuternd, verständlich. Und lehrreich. Trotzdem bleibt der Zauber erhalten. Diese „Magie“ ist auch wissenschaftlich nicht zu negieren. Bilder dringen durch alle noch so logischen Erklärungen und überstrahlen in ihrer vielfachen Einzigartigkeit jedes Wort. Heutzutage fürchtet sich wohl kaum jemand vor Höllenqualen, wenn er an Bosch-Gemälde denkt. Man sieht Mischwesen und Monster, Nasenflöter und Kopffüßler. Drollige Randfiguren, die zwar Rätsel aufgeben, aber ihren Schrecken verloren haben. Menschlein in Eierschalen und gläsernen Blasen, Schnabeltiere auf Kufen, Vögel mit Füßen in Krügen. Rätselhaft. Es krabbelt, drängelt eher possierlich als schrecklich.

Hieronymus Bosch wurde im 15. Jahrhundert in ‘s-Hertogenbosch im Herzogtum Brabant als Jheronimus van Aken geboren. Beim spanischen König Philipp II. hängt so manches Bosch-Gemälde. Andere Bilder findet man heute im Museo del Prado in Madrid. Bosch lehnte seine Szenerien an die „Drolerien“ an – Karikaturen in der mittelalterlichen Buchkunst und Bildhauerei, die anhand von Monstern und grotesken Figuren die Sünde und das Böse versinnbildlichen – und überführte diese von den Marginalien illuminierter Handschriften auf großformatige Tafelbilder.

Es scheint mehr Kopien zu geben als Originale. Alle beruhend auf der ausufernden Phantasie des Hieronymus Bosch. Was mag dieser Mensch geträumt haben? Wollte er warnen? Drohen? Oder war es eine Art Satire? Und was haben die Menschen seiner Zeit und der darauf folgenden Epochen in diesen Motiven gesucht und gefunden? Noch heute grübelt der Kunstinteressierte. Historiker und Wissenschaftler ringen um Deutungshoheiten. Rauschhafte Phantasmen finden sich in Boschs Darstellung der Hölle, wo sie zur inneren Realität werden. So gibt es Kunsthistoriker, welche Bosch als Seelendiagnostiker seiner selbst sehen. So wie Freud. Und damit ist letztendlich die gesamte Menschheit gemeint. Sind diese Bilder Spiegel unseres eigenen Unterbewusstseins?

Was spielt sich in diesem Unterbewusstsein ab? Seltsame Gebilde aus einem Fisch mit Mensch und wieder in einem Fisch. Eierförmige Wesen wild hüpfend. Dämonen? Po-betonte Kreaturen – was soll man davon halten? Hässliche Giftzwerge, die mit bösem Blick Unbill planen. Geschwänzte menschenähnliche oder auch reptilienartige Wesen. Im „Garten der Lüste“ sind etwa 300 fast geschlechtslos wirkende Nackte abgebildet. Auch dieses Motiv wurde unzählige Male kopiert, nachgemalt, neu geordnet und doch ist immer wieder Bosch erkennbar. Seine Bildwelt bestimmt die Erkennbarkeit der Welt zur damaligen Zeit. Viele Bilder galten bis in die heutige Zeit als Original – sind es aber nicht. Es sind wunderbare sehr ähnliche Bilder. Und manchem Betrachter fällt dies vermutlich nicht einmal auf. Erstaunlich auch, wie akribisch und detailversessen alle „Nachahmer“ gearbeitet haben.

Adlige, kirchliche Würdenträger, reiche Bürger – alle wollten die zur „Marke“ gewordenen Bilder von Bosch in ihren Häusern sehen. Das „Weltgericht“, die „Anbetung der Könige“, „Die Versuchung des heiligen Antonius“, „Der Garten der Lüste“ – Nachschöpfungen all dieser Werke, gerade einmal zwanzig, dreißig Jahre nach Boschs Tod entstanden, sind sowohl Teil der Ausstellung als auch im begleitenden Buch zu sehen. Ausgerechnet das fast bekannteste Motiv fehlt, der „Heuwagen“, das Symbolbild schlechthin für die Gier des Menschen und Boschs hohe Moralität. „Wer nach dem Gold greift, wird am Ende nur Stroh in den Händen halten.“

Der Ausflug zu den Monstern des Hieronymus Bosch war beeindruckend. Der Katalog vertieft das Wissen. Oder besser: Das Buch liefert eine Ahnung von Boschs Intentionen. Es lichtet ein wenig den Nebel, hinter dem sich seine Gedankenwelt verbirgt.

Herausgegeben von Stephan Kemperdick für die Gemäldegalerie und das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz
22 x 28 cm, 184 Seiten, 108 Farb- und 18 S/W-Abbildungen, Broschur
ISBN 978-3-7319-0431-1

» Imhof Verlag
» Bericht von der Ausstellung

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